Was in Berlin wirklich gut geht: leben

© Charles Yunck
Einfach nur Feierabend: Sie sind mit Fahrrädern gekommen, um den Sonnenuntergang am Weißen See zu genießen

Aus einem Sechs-Kilometer-Abendlauf am Weißen See wurde eine Liebeserklärung an unsere Stadt im Sommer. Miriam Krekel über die Fähigkeit, Berlin zu lieben.

Ich war mir sicher, dieser Abend wird furchtbar. Ja, ich muss mehr Sport machen. Laufen zu gehen, macht auch total Sinn, besonders, wenn man einen See um die Ecke hat, mitten in der Stadt. Und wenn man erst los kann, wenn die Kinder im Bett sind.

Bleibt nur ein Problem: Ich mag gar nicht laufen (eigentlich stand an dieser Stelle „hassen“, aber das hebe ich mir für wirklich schlimme Dinge auf). Es macht mir halt einfach keinen Spaß, es ist ein Sport ohne Ball und ohne Ziel. Dachte ich.

Doch dann kam alles ganz anders

Denn die Liebe zu dieser Stadt überrannte mich. 20.40 Uhr, gefühlte 25 Grad am Weißen See, die Sonne wird gleich untergehen und ich spüre eine Stadt voller Frieden. Berlin, wie wir es selten erleben, wie wir es viel zu selten spüren.

Immer geht es darum, was alles nicht geht, Flughafen geht nicht, Senat geht nicht, Wohnen und Kinderkriegen geht zumindest nicht gut – und all das stimmt. Und trotzdem ist es an der Zeit, auch das zu sehen, was wirklich gut geht: leben.

Menschen, denen es egal ist, dass die Freibäder nicht öffnen oder schon schließen, weil sie am Ufer des Weißen Sees ins Wasser steigen und im Sonnenuntergang baden. Väter, die ihre Babys eng an sich gekuschelt um den See und bald ins Traumland tragen.

Kuscheln, chillen, musizieren

Ein Pärchen kuschelt auf der Mauer, ein anderes sitzt auf einem umgekippten Baum über dem Wasser des Sees. Eine Gruppe chillt mit Bierflaschen im Gras, drei Männer spielen Gitarre und einer Geige und gefühlt bleibt für einen Moment die Welt still stehen.

Nein, Berlin ist alles andere als perfekt. Es ist schmuddelig und schmutzig. Man kann sich von morgens bis abends über die Stadt aufregen. Journalisten schreiben 400-zeilige Latte-Macchiato- und Klischee-geschwängerte Autorenstücke über die Lächerlichkeit und Unfähigkeit der Hauptstadt. Sie haben bestimmt alle recht.

Alles ist ein bisschen leichter

Aber jetzt ist Sommer. Sommer im Frühling. Sommer in einer Großstadt, in der die Welt draußen lebt. Bis spät in die Nacht, auch an einem Mittwoch, weil man einfach nicht ins Bett gehen mag. In der gefühlt alle Urlaub haben, zumindest nach Feierabend.

Und alles, was uns sonst so schwerfällt, ist plötzlich ein bisschen leichter zu ertragen. Und die Menschen lächeln. Ich habe mich an diesem Abend noch einmal in unsere Stadt verliebt. Ich stehe dazu. Es ist im übrigen viel leichter, die Unfähigkeit zu hassen, als die Fähigkeit zu lieben.

Ich werde mich ganz bestimmt auch wieder aufregen. Aber nicht heute. Vielleicht, wenn es wieder regnet …